Aussage-gegen-Aussage in Sexualstrafsachen

Sexuelle Erlebnisse unterliegen einer vergleichsweise hohen emotionalen Bedeutung. Sie unterliegen, so sie denn tatsächlich oder wie erinnert stattgefunden haben, zudem auch unterschiedlichen Bewertungen im Nachhinein.

Sehr früh besteht in Sexualstrafverfahren die Festlegung der Beteiligten durch Zuschreibung der Rolle als „Täter“ (vs. Beschuldigter oder Tatverdächtiger) und „Opfer“, „Verletzte/r“ bzw. „Geschädigte/r“ (vs. Anzeigeerstatter/in oder Zeuge/in).

Das ist äußerst problematisch, weil nach neueren Erkenntnissen bereits das moralische Urteil über eine Entscheidung, je nachdem, welche Wertegruppe man vertritt, unser Denken bestimmt – und nicht umgekehrt. Unsere moralische Einstellung bestimmt, welche Argumente und Beweise wir zu akzeptieren bereit sind.

 

Tatvorwürfe in Sexualstrafverfahren, wie insbesondere

beruhen oft allein auf der Aussage eines einzigen Belastungszeugen.

Andere Beweismittel, wie z.B. mit bestimmten Vorwürfen in Zusammenhang zu bringende Verletzungsbilder, sonstige auswertbare Spuren (z.B. Fingerabdrücke, DNA aus Blut, Sperma, Hautabrieb, Haaren pp), Bild- oder Tonaufnahmen o.ä. liegen dann entweder nicht oder nicht mehr vor. Oder bestimmte Spuren belegen lediglich sexuelle Kontakte, nicht aber, ob diese einvernehmlich stattgefunden haben oder nicht.

Beruht ein Tatvorwurf allein auf der Aussage eines Belastungszeugen, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, spricht man daher von einer Konstellation „Aussage gegen Aussage“.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. u.a. Urteil vom 7. März 2012 - 2 StR 565/11) sind besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung in Konstellationen, in denen "Aussage gegen Aussage" steht zu stellen. Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs, sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben.

Wird bei einer Aussage gegen Aussage diejenige des einzigen Belastungszeugen hinsichtlich einzelner Taten oder Tatmodalitäten widerlegt, kann seinen übrigen Angaben nur gefolgt werden, wenn außerhalb der Aussage Gründe von Gewicht für Ihre Glaubhaftigkeit vorliegen (BGHSt 44, 153).

Allein auf die Aussage des einzigen Belastungszeugen, dessen Aussage in einem wesentlichen Teil als bewusst falsch anzusehen ist, kann eine Verurteilung nicht gestützt werden. Will der Richter der Aussage im Übrigen folgen, müssen Indizien für deren Richtigkeit vorliegen, die außerhalb der Aussage selbst liegen (BGHSt 44, 256).

Besonderheiten sind u.a. bei der Prüfung der Aussagetüchtigkeit bei psychischen Auffälligkeiten (z.B. Suchtmittelkonsum) und Erkrankungen von Zeugen (z.B. Borderline-Persönlichkeitsstörung) oder bei der Entwicklung sog. Scheinerinnerungen zu beachten.

Ein weiteres Problem ist eine mögliche Vorbereitung von sog. Opferzeugen auf Vernehmungen oder aussagepsychologische Begutachtungen („Coaching“). In diesem Zusammenhang ist u.a. darauf zu achten, dass dem Verletzten die umfassende Einsicht in die Verfahrensakten in der Regel in solchen Konstellationen zu versagen ist, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt (OLG Hamburg, Beschl. v. 24.10.2014 - 1 Ws 110/14).


PS:

Diese Grundsätze gelten z.B. auch in Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Auch dort beruhen Tatvorwürfe gelegentlich allein auf den Angaben von